KATHARINA

GRUZEI

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Anderswo, zu einer unbestimmten Zeit

Ein Tor geht auf. Zahlreiche Frauen und Männer treten auf die Straße und verlassen rasch nach links und rechts den Bildausschnitt. Das Tor geht zu. Rund 50 Sekunden dauert einer der ältesten Streifen der Kinogeschichte. Zu sehen sind Arbeiterinnen und Arbeiter, die an einem warmen Tag im Jahr 1895 die Fabrik der Brüder Lumière verlassen.

 

Ein langer Gang wird rhythmisch von Neonröhren beleuchtet und verschwindet wieder in der Dunkelheit, dazu das zirpende Geräusch an- und ausgehender Beleuchtungskörper. Eine Frau kommt von hinten ins Bild und geht den Gang entlang. Die Kamera folgt ihr. Immer mehr Menschen schließen sich ihr an und schreiten, ungeachtet des flackernden Lichts, voran. Mit einen Mal ist die Gruppe von vorne zu sehen. Nun stehen alle still und blicken in die Kamera. Das Licht geht weiterhin rhythmisch aus und wieder an. Manchmal gleicht die Schwärze des Bildes dem Schnitt zwischen zwei Sequenzen, manchmal fällt sie mit ihm in eins. Die letzte Einstellung zeigt ein Tor von außen. Es geht auf. Die Menschen treten auf die Straße. Das Tor geht zu.

 

Mit „Die ArbeiterInnen verlassen die Fabrik“ (2012) nimmt Katharina Gruzei erst ganz zum Schluss die titelgebende Filmsequenz auf, die auf den Ursprung des Mediums Films verweist und die bereits zahlreiche Filmschaffende vor ihr – häufig unter Auslassung von Frauen – zitiert haben. Davor setzt die Künstlerin filmische Grundparameter wie Licht, Bewegung, Schnitt und Sound in Szene. Narrative Elemente finden sich in dem, was Gruzei zeigt und wie sie es tut. Zu sehen ist die Tabakfabrik Linz, die nach ihrer Schließung 2008 von der Stadt Linz angekauft wurde, um ein Zentrum der Kreativwirtschaft und Digitalisierung zu etablieren. Und zu sehen sind vor allem Frauen, stellten sie doch im späten 19. Jahrhundert den größten Teil der Belegschaft. Doch Gruzei zeigt die Tabakfabrik nicht dokumentarisch, sondern indem sie mit eindringlichem Sound, pulsierendem Licht und einer rätselhaften Handlung Spannung erzeugt. Der Experimentalfilm „Die ArbeiterInnen verlassen die Fabrik“ verknüpft Filmgeschichte und das Ausloten medialer Möglichkeiten mit der Gegenwart unserer im Umbruch befindlichen Arbeitswelt – einer Arbeitswelt, in der Fabriken und Geschäftshäuser geschlossen werden, um gelegentlich als Produktionsstätten der Kreativwirtschaft, als Archive, oder auch als Galerien wieder geöffnet zu werden.

 

Fotografie, Film, Video, Installationen, Sound und Objekte – Katharina Gruzeis Werke nehmen vielfältige Formen an. Häufig verbinden sie, wie bei „Die ArbeiterInnen verlassen die Fabrik“, ein Interesse an konkreten Orten, Menschen und feministischen Fragestellungen mit einer subtilen Reflexion von Darstellungsmitteln oder einem Spiel mit Genrekonventionen. Die Künstlerin lenkt mit ihren fotografischen und filmischen Werken den Blick dorthin, wo in die gegenwärtige Realität etwas Unerwartetes einbricht. In der Fotoserie „Bodies of Work“ (2017) sind etwa Bilder aus einer Linzer Schiffswerft zu sehen, die an gängige Darstellungen von Arbeit erinnern. Erst bei eingehender Betrachtung entsteht ein zeitloser Ort, der unbestimmt verharrt zwischen einer Gegenwart, die in die Vergangenheit verweist, und einer Zukunft, die zu einem früheren Zeitpunkt imaginiert wurde. Es handelt sich um einen Ort, an dem die Körper der Arbeiter mit Maschinententakeln verschmelzen und an Raumanzüge erinnernde Schutzkleidung tragen, um eine Seefähre (oder ist es eine Raumfähre?) zusammenzusetzen.

 

Eine vergleichbare Verschmelzung von Zeitebenen findet sich in den Fotoserien „War Rooms“ (2016) und „Kosmos“ (2015), die in zwei Moskauer Museen entstanden sind. Beide Museen versprechen Einblicke in die Geschichte – in die Zeit des Zweiten Weltkriegs sowie in die Glanzzeit der russischen Raumfahrt. Gruzei lenkt mit ihren Bildern den Blick dorthin, wo die Fiktion einer lückenlos rekonstruierbaren Vergangenheit durch gegenwärtige Elemente gestört wird. Während in diesen beiden Serien Motive vor der Kamera zu „Zeitverschränkungen“ (Katharina Gruzei) führen, ist es bei „Re – Presenting“ (2006/2008) der Bruch zwischen Motiv und fotografischer Technik: Die Künstlerin ließ sich für dieses Selbstporträt mit zeitgenössischen Attributen in einer Ferrotypie ablichten, einer Technik, die aus der Frühzeit der Fotografie stammt. Damit greift sie rückwirkend in den lange Zeit männlich dominierten Kanon fotografischer Bildproduktion ein.

 

Katharina Gruzeis Interventionen im öffentlichen Raum zeichnen sich ebenfalls durch feine Irritationen gewohnter Wahrnehmungsmuster und poetische Eingriffe in die Alltagswelt aus. Bei „As a Matter of Desire“ (2013) konnten frühmorgens am Ufer des Lunzer Sees einige zufällig Anwesende ein lebendiges, weißes Einhorn sehen. Die einheimischen Augenzeugen wussten, dass ein Einhorn das Wappentier von Lunz am See ist, das massenhaft für die touristische Vermarktung der Ortschaft verwendet wird. Das mythische Fabelwesen verbindet somit den Bereich jahrhundertalter Imaginationen und Bilder mit handfesten wirtschaftlichen Interessen einer niederösterreichischen Gemeinde. Bei einer anderen Intervention war „OPEN“ als Leuchtschrift auf einer Baumkrone zu lesen. Die gleichnamige Installation aus dem Jahr 2016 lag in eine kleinen Wäldchen, das von Autobahnzubringern eingeschlossen ist und nur dann betreten werden konnte, wenn man gegen die Straßenverkehrsordnung verstieß – wenn man die Regeln brach.

 

Katharina Gruzei ermöglicht den BetrachterInnen der Ausstellung „Elsewhere“ Orte kennenzulernen, die sich nicht nur „anderswo“ befinden, sondern die auch eine ganz eigene Zeitlichkeit besitzen. „Elsewhere“ ist bei ihr also nicht nur ein Ort, sondern auch eine Zeitangabe. Die Künstlerin führt mit dieser Ausstellung in Grenzbereiche der Gegenwart und transformiert das Hier und Jetzt mit Mitteln der Kunst, einer Kunst, die ebenso reflexiv wie spielerisch ist.

 

 

Gudrun Ratzinger

 

 

publiziert im Folder der Ausstellung ELSEWHERE - Katharina Gruzei

in der Galerie Freihausgasse vom 29. April bis 2. Juni 2018

 

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