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Nachts

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“Man muss die Nacht gesehen haben, bevor man den Tag begreift” (Anne Sexton)

 

Die Welt verändert sich nach Einbruch der Dunkelheit, das nächtliche Spiel von Licht und Schatten unterzieht die Orte einer Verwandlung. Die Konturen der Umwelt und ihrer Bewohner werden unscharf, der Raum verliert sein Maß, Distanz und Nähe können nicht mehr genau eingeschätzt werden. Es entsteht die Erfahrung einer Ortlosigkeit, die beruhigend, verführerisch oder furchterregend sein kann, in jedem Fall aber eine Verfremdung mit sich bringt. Seit der Antike wird die Nacht als besonderer Schauplatz für Handlungen, Begegnungen und Erkenntnisse verstanden, die einen Kommentar zum Tag bieten. Im Zuge der Aufklärung wurde die Nacht mit all ihren Phantasmen und Transgressionen nicht mehr als integrierter Bestandteil des Lebens betrachtet, sondern, - gleich wie das Weibliche und das ethnisch Andere -, als terra incognita auf die andere Seite des Lebens verbannt, auf die Seite der Dunkelheit jenseits des Lichts, der Phantasie jenseits der Erkenntnis, und damit des Bösen jenseits des Guten. Sie wurde zum Reich des Undurchdringbaren, Geheimnisvollen, ein finsterer Ort, welcher erst wieder entdeckt werden musste. Erst das moderne Individuum, der Großstadtflaneur des 19. Jahrunderts, wagt sich - im Gegensatz zum braven Bürger, der bei Einbruch der Dunkelheit das traute Heim aufsuchte - in die nächtliche Großstadt, verbunden mit der Neugier und Hoffnung, den Schleier des Geheimnisses zu lüften. 1

 

Steht das Tageslicht für klare und eindeutige Begriffserklärungen, wird unsere Aufmerksamkeit in der Nacht durch die eingeschränkte Sichtbarkeit von Widersprüchlichen gekennzeichnet: von Blindheit und gleichzeitig von neuer Einsicht, welche Verblendung und ebenso Erleuchtung bringen kann, und sowohl das Gefühl von Faszination wie auch gleichzeitig von Angst hervorrufen kann. Die Nacht bietet den Schauplatz für das Versagen rationaler Erkenntnisfähigkeit, für einen Zweifel an festgelegten Ordnungen, aber auch für eine Klärung der Probleme, die der Tag aufgeworfen hat. Die Nacht bringt das Versprechen einer Befreiung von den Gesetzen des Tages. Denn in der Dunkelheit der Nacht finden sich Orte, in denen der Ausbruch aus Alltagszwängen erprobt werden kann, und eine Umkehrung der Ordnungen des Tages möglich wird.

 

Michel Foucault spricht in diesem Zusammenhang von „Heterotopien“ 2, das sind wirkliche Orte innerhalb der Gesellschaft, wo Plätze und Normen innerhalb der Kultur repräsentiert, bestritten oder auch gewendet werden können. Formen kulturellen Schaffens wie das Theater, das Kino, die Literatur, aber auch die Fotografie, können als „Nachtmedien“ 3 verstanden werden, in dem Sinne, dass ästhetische Texte und Bilder grundsätzlich wirkliche und wirksame Orte entstehen lassen, die auf die Realität des Alltags verweisen, in ihr aber gleichzeitig einen anderen – nicht alltäglichen – Zeitraum entstehen lassen. Wenn nun anhand dieser Medien die Nacht zum Thema gemacht wird, erleben wir eine Potenzierung des Imaginären.

 

Beim nächtlichen Schauplatz geht es nicht um ein reales Erleben von Tageszeiten, die Nacht ist das Andere des Tages. Nächtliche Szenen, die von der Literatur, dem Kino oder der Fotografie als Kommentare zum Tag entworfen werden, werden als medial entworfene Szenarien stets mit Zusatzbedeutungen versehen. Nachtszenen eröffnen einen Raum der Zeichen, die Nacht erscheint zeichenhafter als der Tag. Gerade in der Fotografie durch ihre technischen Möglichkeiten nehmen wir das Licht im Dunkeln teilweise als heller wahr als das Tageslicht, und die Konturen der Objekte scheinen schärfer als bei Tage. Wir bekommen den Eindruck, als sei unsere Wahrnehmung geschärft, doch die Übergänge zwischen Wirklichkeit und Einbildung verwischen. Nächtliche Schauplätze verflüssigen die Grenze zwischen äußerer und innerer Erfahrung.

 

Im Bilderzyklus „Fullmoon“ von Katharina Gruzei geht es um Jugendliche bei Nacht, um das Beschreiben jener Räume, welche sie sich bei Tage angeeignet haben, und welche im nächtlichen Szenario eine gänzlich andere Bedeutung erlangen.

Die Künstlerin interessiert sich in ihrer Arbeit grundsätzlich für Menschen und deren gelebte Umgebungen, wobei sie nach der Beziehung zwischen den von ihr porträtierten Subjekten und den sie umgebenden Räumen und Objekten forscht. Sie porträtiert Jugendliche an den Randzonen von städtischen oder dörflichen Wohngegenden, teils umgeben von Natur, wie wir sie in unseren städtischen Parks vorfinden, oder an Orten, wo tagsüber Alltags- oder Freizeitbeschäftigungen stattfinden. Ihre Protagonisten posieren in statischer Haltung, untätig, wie Außerirdische, Schauobjekte, deren Dasein auf eine andere Realität verweist. Auch die sie umgebenden örtlichen Situationen haben nun in der Nacht jene geschäftige Bedeutung verloren, die ihnen bei Tage zukommt. Und wir sehen im Raum befindliche Alltagsgegenstände, welche auf deren Benutzbarkeit bei Tage verweisen, und die nun nachts verlassen und zweckentfremdet scheinen.

 

Die Künstlerin verwendet das Mondlicht als Hauptlicht für ihre ausschließlich analog gefertigten „Lichtbilder“, wobei sie die nächtliche Lichtquelle Mond auch inhaltlich aktiv thematisiert. Die Jugendlichen blicken teilweise - gemeinsam mit der Fotokamera - Richtung Mond, in anderen Fotografien sind es wiederum die dargestellten Personen und Objekte selber, welche vom Mondlicht angestrahlt werden, und somit indirekt diese Lichtquelle andeuten. Der Mond wird in dieser Arbeit aber nicht nur als Lichtquelle thematisiert, sondern erlangt eine besondere Bedeutung als ferner Ort jugendlicher Sehnsüchte, als magisches Objekt für eine tief greifende nächtliche Erkenntnis.

 

Durch die Langzeitbelichtung erreicht die Künstlerin eine Helligkeit im Dunkeln, welche die beleuchteten Objekte und Personen aus ihrem Kontext stärker und heller heraustreten lässt als bei Tage. Die Objekte und Situationen erlangen im Mondlicht eine herausragende Bedeutung, während Hintergründe geheimnisvoll im Dunkeln versinken. Aber die Nacht lässt die Konturen verwischen, und Einbildung und Wirklichkeit verschmelzen, wodurch wir uns auch als Betrachter auf ein Experiment einlassen müssen, welches die Künstlerin hier initiiert.

 

Katharina Gruzei greift hier zudem ausgiebig in die Trickkiste der Anleihen aus dem Fundus kollektiver Bilder aus anderen Gattungen, wie z.B. dem Kino, der Werbefotografie, oder bei Meisterwerken der Kunstgeschichte, welche die Stimmung und Inhalte der einzelnen Fotografien maßgeblich mitbestimmen. Die Verdoppelung des Blickes des porträtierten Protagonisten durch die Fotokamera verweist auf jene nostalgische Atmosphäre, wie wir sie von den großformatigen Tafelbildern Caspar David Friedrichs kennen, dessen Protagonist gemeinsam mit dem Bildbetrachter sehnsüchtig in die Ferne schaut. Diese Verknüpfung der Bildanordnungen aus der Zeit der Romantik und dem Höhepunkt der Aufklärung und ihrer Sehnsucht danach, den Blick über die vor uns existierende Wirklichkeit hinaus zu richten, wird hier mit einer nächtlichen Szenerie verknüpft, in der die Nacht als Möglichkeit für eine junge Generation von Menschen entdeckt wird, den tieferen Sinn ihres Daseins zu reflektieren. Andere Protagonisten posieren im Bild wie auf Werbefotos, so als wollten sie dem Betrachter einen Spiegel vorhalten. Auch Elemente des Unheimlichen und Anleihen beim Horrorfilm aus dem Hollywoodkino kennzeichnen einige Arbeiten, und lösen gleichzeitig Schauder aus, wie auch das Versprechen einer besonderen Erkenntnis. Durch teilweise Überblendungen wird das Übertreten des realen Körpers in eine jenseitige Sphäre, die Überwindung des physischen Körpers und die Sehnsucht nach Befreiung von den Gesetzen des Tages thematisiert.

Katharina Gruzei reduziert in ihren Arbeiten das Laute, Ablenkende der alltäglichen Welt, um in der Lage zu sein, sich auf wesentliche Elemente und Einsichten zu konzentrieren.

 

 

1 vgl. Elisabeth Bronfen, Tiefer als der Tag gedacht. Eine Kulturgeschichte der Nacht., Carl Hanser Verlag, München, 2008

 

2 vgl. Michel Foucault, „Andere Räume“. In: ders. „Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik“, Leipzig, Reclam Verlag, 1991

 

3 Elisabeth Bronfen, Nachtreisen, Traumwelten, In: „Tiefer als der Tag gedacht“, S. 175

 

 

 

Sabine Gamper

 

publiziert in Nachts... di notte...

Katalog zur gleichnamigen Ausstellung

Katharina Gruzei | Akiko Sato

Galerie Foto Forum, Bozen

 

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